Von einem Stück Seife und dem Mageninhalt eines Wales...
Folgende Geschichte wird über die Entstehung von ‚Dioressence’ erzählt:
Mitte der sechziger Jahre fragte Dior bei dem jungen und äußerst erfolgreichen Parfumeur Guy Robert (der Neffe von Chanels Henri Robert) an, ob er sich vorstellen könne einen Duft für sie zu komponieren, der ‚Dioressence’ heißen solle, und den sie sich als animalischen Duft für Frauen vorstellten.
Monsieur Robert machte sich unverzüglich an die Arbeit, doch so recht wollte ihm nichts gelingen – jedenfalls nichts, was seinen hohen Ansprüchen genügte.
Eines Tages wurde er, als Kenner der Materie, von jemandem aus der Industrie gebeten nach London zu fliegen, um die Qualität eines riesigen Klumpens grauer Ambra unter die Lupe zu nehmen, die dort zum Verkauf stand. Guy Robert flog hin und nahm die stattlichen Reste – angeblich um die dreißig Kilo – des ehemaligen Walmagen-Inhaltes in Augenschein.
Diese Tiere würgen ja – ähnlich wie Katzen – die unverdaulichen Teile ihrer Nahrung in gewissen Abständen wieder hervor. Mit einer öligen Substanz verklebt schwimmen sie an der Meeresoberfläche und kommen so mit Luft und Licht in Berührung. Nach jahrelangem Herumdümpeln der Walkotze im Meer, beginnen die öligen Bestandteile ranzig zu werden, und erst jetzt, nach photochemischer Verwandlung, entsteht der wunderbare, sehr komplexe Duft der grauen Ambra.
Monsieur Robert berührte mit seinen Händen den wie schwarze Butter aussehenden Klumpen, rieb anschließend seine Handflächen aneinander und führte sie vor sein Gesicht. Die Duftentfaltung überzeugte ihn, die Qualität war ausgesprochen gut und er kaufte.
Die Fettverschmierten Hände reinigte er an einem Waschbecken mithilfe eines Stückes Seife. Auf dem Rückflug nach Paris nahm er auf einmal einen Duft an seinem Händen war, der ihn augenblicklich zu Dior zurückführte – der Duft, der seinen Händen entstieg, war der Duft den er suchte. Noch am Pariser Flughafen rief er den Londoner Verkäufer an, um sich nach dem Seifenstück zu erkundigen, mit dem er sich die Hände wusch. Zu seinem Erstaunen beschied ihm der Händler, dass es sich um keine besondere Seife gehandelt habe, allerdings eine, die den Duft von ‚Miss Dior’ nachahme. Guy Robert bat darum das Seifenstück gesendet zu bekommen und entwickelt so, mithilfe des fruchtig-aldehydischen Chypreduftes der vermeintlichen ‚Miss Dior’-Seife und eines dicken Batzens Walkotze, das berühmte ‚Dioressence’.
Soweit die Vorgeschichte.
1969 wurde der Duft zunächst als Parfum lanciert, zehn Jahre später, 1979, kam die EdT-Variante auf den Markt.
Mittlerweile wurde es mehrfach reformuliert, und alle (wirklich alle!) die den ursprünglichen Duft kannten, sagen, dass jener, der nun schon seit Jahren diesen Namen trägt, mit dem alten ‚Dioressence’ aus den siebziger Jahren so gut wie nichts gemein hat.
Leider kenne ich den ursprünglichen Duft nicht, sondern nur die Fassung, die seit einigen Jahren (vermutlich frühe Neunziger) im Handel ist, sowie die neue, die 2010 als Bestandteil der ‚Les Creations de Monsieur Dior’-Serie auf den Markt kam.
Doch selbst diese beiden weisen erhebliche Unterschiede auf.
Als ich vor einigen Jahren das erste Mal seit langer Zeit wieder an Dioressence schnupperte, hat es mich fast umgehauen – es war einer der seltenen Augenblicke, in denen man fassungslos dasteht und einfach nur denkt: Wow, was ist das? Das ist ja großartig!
Ein Duft, der exakt meine olfaktorischen Vorlieben bediente: ein tiefes, dunkles Chypre mit fruchtigen und grünen Akzenten, einem orientalischen Herzen und maskuliner Ausstrahlung. Ich war mehr als begeistert, ich war besessen.
Für Jahre rückte ‚Dioressence’ in den Olymp meiner liebsten Düfte auf.
Als ich nach einiger Recherche dann herausfand, dass jener Guy Robert für diesen Duft verantwortlich war, der auch das wunderbar opulente Amouage Gold kreierte, sowie das phänomenale ‚Equipage’, glaubte ich endlich eine diesem großen Parfumeur eigene Handschrift erkannt zu haben.
Dann aber, als der Duft ca. 2008 nach und nach aus den Regalen verschwand, ergriff mich die Panik, und trotz noch gut gefülltem Flakon daheim, kaufte ich einen neuen, einen Reserve-Flakon.
Zu meiner großen Erleichterung kam der Duft bekanntermaßen wieder, doch als ich ihn testete war ich einigermaßen enttäuscht. Das war nicht mehr ‚Dioressence’ wie ich es kannte und liebte, aber schlecht war es auch nicht. Nach einigem Hin und Her, vor allem als ich las, dass das Neue dem Alten, d.h. dem Ursprünglichen näher sei als der vorherigen, mir so vertrauten Fassung, legte ich mir schließlich auch das Neue zu.
Mittlerweile muss ich allerdings sagen, dass ich das Gefühl habe, dass der neue Duft mit dem ganz alten noch weniger zu tun hat, als mit dem vorherigen. Die Handschrift Guy Roberts, diese wunderbar polierten Oberflächen, dieses unwahrscheinlich nahtlose Ineinandergleiten der einzelnen, perfekt kalibrierten Noten und Akkorde, diese Verblendung sämtlicher Register (um mal einen Begriff aus dem Musikalischen zu verwenden) ohne den geringsten Ansatz eines Bruchs – all das, was einen Duft von Guy Robert (und eben auch das vorige Dioressence) auszeichnete, ist im neuen ‚Dioressence’ nicht mehr präsent, zumindest nicht in einem Maße, dass es augenscheinlich wäre.
Stattdessen hat der neue Duft eine deutlich aufgeraute Struktur, mit holzigeren Akzenten (vermutlich Zeder), stärker prononciertem Zimt-Geranium Akkord und eine erkennbar orientalischere Basis, mit starken Amber und Ambregris-Akzenten. Bitter-würzig Chyprenoten sind kaum mehr auszumachen, und der ganze Duft wirkt offener, gefälliger und schlanker. Dabei ist auch der Neue ein sehr kraftvoller und langlebiger Duft, nur zeichnet ihn eben nicht mehr die Fülle und Dichte einer Robert´schen Kreation aus.
Zudem ist er auch ein klein wenig femininer geworden, was für mich – als Mann - weiter nicht tragisch ist, da er nach wie vor genug maskulines Potential hat um tragbar zu bleiben. Vielen Frauen aber dürfte die aktuelle Fassung entgegenkommen, haben sie doch häufig berichtet, dass sich das alte Dioressence auf der Haut ihrer Männer stets besser entwickelte als auf der eigenen.
Nachdem ich also beide Varianten von ‚Dioressence’ ausgiebig getestet und getragen habe – oft die eine auf einem Arm, die andere auf dem zweiten – kann ich gar nicht mehr sagen welche der beiden mir lieber ist.
An der neuen vermisse ich eindeutig die Chypre-Facetten (seltsamerweise sind sie beim neuen ‚Diorella’ deutlicher erkennbarer als beim alten, was darauf hindeutet, das man sie willentlich und nicht notgedrungen reduziert hat), aber gleichzeitig ist sie irgendwie sinnlicher, offener und fröhlicher, nicht gar so zugeknöpft und streng wie die Alte - die aber wiederum mehr Grandeur hatte.
Geblieben ist hingegen die dunkelgrüne Farbe des Elixirs, die mich immer an die Färbung von Olivenöl erinnert, und die so schön zu dem Dufterlebnis passt. Denn ähnlich wie beim Schnuppern an gutem und frischem Olivenöl, ist bei ‚Dioressence’ eine leichte, dabei unsüße Fruchtigkeit zu erkennen, die einem den Mund wässrig und Lust auf mehr macht.
Wer also heute einen orientalischen Duft sucht (mit nunmehr leichtem Chypre-Twist), der aber nicht die ölige Schwere und durchdringende Süße der Kreationen von Serge Lutens aufweist, der andererseits einen wunderbaren Zimt-Rosen-Akkord im Herzen trägt und eine Süchtigmachende animalische Komponente in der Basis, der probiere unbedingt ‚Dioressence’ – egal ob Mann oder Frau.
Immer noch - und trotz wechselvoller Geschichte - ein großer Duft.